Werden in Deutschland spezialisierte STI-Kliniken benötigt?

Die Prävention und Behandlung sexuell übertragbarer Infektionen hat in Deutschland eine große Tradition, wie der STI-Kongress 2012 anlässlich 110. Geburtstag der Deutschen STI-Gesellschaft aktuell zeigt.  Die Zuständigkeit im Bereich Versorgung sexuell übertragbarer Infektionen (STIs) liegt bei verschiedenen Fachrichtungen. Dazu gehören Fachärztinnen und Fachärzte für Allgemeinmedizin, Haut- und Geschlechtskrankheiten, Gynäkologie oder Urologie, die in eigener Praxis, in Klinikambulanzen oder im öffentlichen Gesundheitsdienst tätig sind. Damit steht den Bürgerinnen und Bürgern in Deutschland ein breitgefächertes Angebot zur Verfügung. Gleichzeitig jedoch zeigen die Ergebnisse der europäischen Internetbefragung von MSM (European MSM Internet Survey, EMIS), dass Untersuchungen auf STIs in Deutschland meist auf Blutanalysen beschränkt werden. Für den Nachweis vieler STIs ist jedoch eine körperliche Untersuchung oder ein Abstrich notwendig.

(Zusammenfassung der Kontroverse 5: Claudia Kannen)

  • Die Referenten waren Dr. Stefan Scholten, Praxis Hohenstaufenring, Köln und Axel Schmidt MD MPH, Sigma Research London School of Hygiene and Tropical Medicine.

  • Vertrauen und ein gutes Verhältnis der behandelnden Ärztinnen und Ärzte zu ihren Patientinnen und Patienten sind in dem empfindlichen Bereich der sexuell übertragbaren Infektionen immens wichtige Bausteine für eine erfolgreiche Diagnose, Therapie und Behandlung. Das betrifft nicht nur die Bereitschaft potenziell infizierter Personen zu einer ersten Untersuchung, sondern vor allem auch die Behandlung positiv getesteter Personen. Daher sind entsprechend infektiologisch geschulte Haus- oder Fachärztinnen und -ärzte eine bedeutende Alternative zu anonymen, spezialisierten STI-Kliniken.

    Das Zusammenspiel von medizinischer Fachkompetenz und das Vertrauen, welches Patientinnen und Patienten dem jeweils behandelnden Arzt oder der behandelnden Ärztin  entgegen bringen, bilden die entscheidenden Grundlagen für eine erfolgreiche Diagnose und Behandlung von STIs.

    Hausärztinnen und Hausärzte verfügen oft über ein langjähriges und gutes Vertrauensverhältnis zu ihren Patientinnen und Patienten und sind schon auf Grund dessen den reinen STI-Kliniken vorzuziehen. Hinzu kommt häufig die Nähe zum Wohnort, die einen Praxisbesuch durchaus einfacher machen kann und den Patientinnen und Patienten eine oft auch langandauernde Behandlung von (Folge-) Erkrankungen im Alltag erleichtert.

    Dr. Stefan Scholten, Praxis Hohenstaufenring, Köln

  • Die Auswertung des Europäischen MSM Internet Survey zeigt deutlich, dass in Deutschland zwar das Informationsniveau in den Ballungszentren im Vergleich zu anderen europäischen Großstädten recht hoch ist, der Zugang zu den basalen STI-Untersuchungen sowie das Prozedere der Check-Ups jedoch erschwert scheinen.

    Eine Erklärung hierfür findet sich in der Angebotsstruktur. In Deutschland sind in der Regel die niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte die ersten Ansprechpartnerinnen und Ansprechpartner für die Diagnose und die Behandlung von STIs. Man darf dabei jedoch nicht unterschätzen, dass diese Art der Infektion einen oft schambesetzten Bereich betrifft, der einigen potenziell infizierten Menschen den Gang zur Hausärztin oder zum Hausarzt erheblich erschwert. Hinzu kommt, dass Männer mit gleichgeschlechtlichen Sexualkontakten eine besonders STI-anfällige Bevölkerungsgruppe bilden. Ein offener und diskriminierungsfreier Umgang in medizinischen Einrichtungen ist daher eine Grundvoraussetzung für erfolgreiche Präventions- und Versorgungsmaßnahmen.

    Spezialisierte Behandlungszentren in Ballungsnähe sind in der Lage, niedrigschwellige und zielgruppenadäquate Angebote zu vereinen.

    Axel Schmidt MD MPH, Sigma Research London School of Hygiene and Tropical Medicine

  • Dr. Scholten benennt als Hauptproblem für beide Thesen die Finanzierung regelmäßiger Untersuchungen auf STIs. Erst danach geht er auf die Schwerpunkte Vertrauen, Stigmatisierung und Kompetenz ein. Er steht auf dem Standpunkt, dass ein Abbau von Hemmungen durch spezialisierte Kliniken nicht möglich ist, mit diesen würde es im Gegenteil sogar eher zu einer Verschärfung des Problems kommen. Für Dr. Scholten liegt die Lösung in der Fortbildung der niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte und in der finanziellen Unterstützung von Voruntersuchungen durch die Krankenkassen.

    Demgegenüber sieht Axel Schmidt eine dringende Notwendigkeit von Zentren für schwule Gesundheit in Metropolen. Schwulen und anderen Männern, die Sex mit Männern haben, müsse die Möglichkeit gegeben werden, offen und ohne Hemmungen auch über ihre sexuellen Kontakte und Praktiken zu sprechen. Bei niedergelassen Ärztinnen und Ärzten hält er dies für nicht realistisch. Die Scheu, beispielsweise dem Hausarzt oder der Hausärztin gegenüber offen über Sexualpraktiken und Risikoverhalten zu sprechen hindere viele Männer daran, sich frühzeitig auf sexuell übertragbare Krankheiten testen zu lassen. Aber auch in der Beratung, Diagnose und Behandlung sowie Folgebehandlung heben sich die STI-Kliniken mit ihrer Kompetenz und ihrer Angebotsstruktur deutlich hervor. In ländlichen Gebieten gäbe es, so Axel Schmidt, keine Angebote zur Risikoanamnese. Auch hier sieht er die dringende Notwendigkeit einer Professionalisierung mittels spezialisierter Kliniken in den anliegenden Großstädten.

    Der Moderator wirft die Frage in den Raum ob sich Gesundheitspolitikerinnen und -politiker dafür einsetzen sollten, entsprechende Kliniken zu etablieren und die finanziellen Mittel dafür sicher zu stellen. Letzter Punkt, welche Finanzierungsmöglichkeiten es in diesem Kontext gäbe, ist ein zentraler Aspekt der weiteren Diskussion

    Dr. Scholten hält Aspekte der Stigmatisierung weiterhin für problematisch, da diese mit einer STI-Klinik nicht behoben wären. Nur geringer Teil von Patientinnen und Patienten fände daher den Weg in eine solche Klinik. Auf der anderen Seite weist er darauf hin, dass Hausärztinnen und -ärzte oft mit dem Thema überfordert wären. Daher plädiert er erneut für eine Fortbildung der niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte im Hinblick auf sexuell übertragbare Infektionen und deren Risikoanamnese sowie für eine Entstigmatisierung und Enttabuisierung von Sex, sexuell übertragbaren Infektionen und einen offenen und wertneutralen Umgang mit einvernehmlichen sexuellen Praktiken und Vorlieben in der Gesellschaft.

    Aus dem Publikum kommt die Frage, wohin denn die vielen heterosexuellen Männer gehen könnten, wenn es nur Zentren für schwule Gesundheit gäbe. Darauf erwidert Axel Schmidt, dass es auf Grund der Begrenzung der finanziellen Mittel angemessen sei, die Gelder dort zu investieren, wo der höchste Bedarf besteht. Das Label „Schwule Gesundheit“ würde die Niedrigschwelligkeit des Angebotes verbessern.

    Dr. Scholten tritt nach wie vor für die Variante der niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte ein, die von ihren langjährigen Patientinnen und Patienten als erste Anlaufstelle wahrgenommen werden. Ihm geht es darum, diese besser und breitgefächert fortzubilden und damit die Vertrauensbasis auf beiden Seiten zu stärken. Er hält nichts von einer Schaffung von Parallelstrukturen, sondern möchte mit Hilfe einer besseren Kommunikation beispielsweise dafür sorgen, dass Ärztinnen und Ärzte ihre Patientinnen und Patienten nach der medizinischen Versorgung auch gleich an entsprechenden Beratungszentren weiterleiten.

  • Die Referenten sind sich mit dem Publikum darin einig, dass nur einander ergänzende Angebote durch niedergelassene Fachärztinnen und Fachärzte und STI-Kliniken, verbunden mit entsprechenden Präventions- und Beratungsangeboten  die Versorgungssituation grundlegend verbessern können. Darüber hinaus sei es wichtig, der Tabuisierung sexuell übertragbarer Infektionen sowie der Stigmatisierung der von STIs besonders betroffenen Gruppen weiterhin entgegenzuwirken.