Viruslastmethode als integraler Bestandteil der klassischen Safer-Sex-Kampagne

Menschen mit HIV sind unter gut verlaufender antiretroviraler Therapie nicht mehr infektiös. Die antiretroviralen Therapien verbessern die Lebensqualität von Menschen mit HIV und verlängern ihre Lebensdauer. Die Schutzwirkung einer erfolgreichen Therapie darf aber nicht dazu führen, Menschen gegen ihren Willen und ohne medizinische Notwendigkeit vorzeitig zu einer Therapie zu überreden, um mögliche Ansteckungen zu verhindern, dafür stehen allen andere Präventionsmöglichkeiten zur Verfügung.

Auf der Konferenz der Internationalen Aidsgesellschaft in Rom im Jahr 2011 wurde die bahnbrechende Studie HPTN 052 vorgestellt. Sie beweist: Eine gut funktionierende HIV-Therapie reduziert das Risiko der Übertragung um mindestens 96 Prozent und ist damit genauso effektiv wie Kondome. Eine andere Studie belegt den engen Zusammenhang zwischen der Viruslast im Blut und in der Analschleimhaut. Die Ergebnisse unterstreichen, dass die Therapie auch bei Analverkehr vor einer HIV-Übertragung schützt. Besonders interessant: Traten andere bakterielle Infektionen auf, stieg die HIV-Viruslast im Enddarm nicht an – was bisher befürchtet wurde.

Eine Übertragung bei sexuellen Kontakten ohne Kondom ist unwahrscheinlich, wenn folgende Voraussetzungen erfüllt sind:

  • die Viruslast der HIV-positiven Partnerinnen oder Partner ist seit mindestens sechs Monaten unter der Nachweisgrenze,
  • die antiretroviralen Medikamente werden konsequent eingenommen,
  • bei den Sexualpartnerinnen und Sexualpartnern liegen keine Schleimhautdefekte z.B. als Folge sexuell übertragbarer Infektionen vor.

Unsere bisherigen Safer-Sex-Botschaften werden durch diese Aussage sinnvoll und wirksam ergänzt; in der Prävention eröffnen sich dadurch neue Möglichkeiten. Es stellt sich die Frage, wie sich die sogenannte „Viruslastmethode“ kommunizieren lässt. Kann sie als integraler Bestandteil der allgemein bekannten Safer-Sex-Botschaften gesamtgesellschaftlich kommuniziert werden oder liegt der Fokus auf einer zielgruppenspezifisch eingegrenzten Kommunikationsstrategie?

(Zusammenfassung der Kontroverse 1: Claudia Kannen)

  • Die Referentinnen und Referenten Silke Klumb, Deutsche AIDS-Hilfe, und Dr. Heinrich Rasokat, Uniklinik Köln, gaben den fachlichen Input für die kontroverse Diskussion.

  • Eine einzige, eingängige Präventionsbotschaft für alle sexuell übertragbaren Infektionen (STI) gibt es nicht. Safer-Sex-Praktiken sind heute nicht mehr nur auf das Kondom beschränkt. Die Herausforderung besteht heute vielmehr darin, die Kommunikation auch von komplexeren Präventionsbotschaften umfassender und trotzdem leicht verständlich zu gestalten.

    Die Verbreitung sexuell übertragbarer Krankheiten nimmt zu. Beide Methoden – sowohl das Kondom als auch die Viruslastmethode (HIV-positive Menschen unter erfolgreicher Therapie, also bei einer Viruslast unter der Nachweisegrenze, sind nicht infektiös) – sind zurzeit die effektivsten Möglichkeiten, eine HIV-Übertragung zu vermeiden. Beide sollten daher kommuniziert werden.

    Silke Klumb | Deutsche AIDS-Hilfe | Berlin

  • HIV ist eine der weltweit bekanntesten sexuell übertragbaren Infektionen, jedoch leider nicht die einzige. Neben ihr existieren in zunehmendem Maße weitere, zum Teil tödliche Erkrankungen, die alle in erster Linie durch die Praktizierung von Safer-Sex-Techniken und die Nutzung von Kondomen verhindert werden können. Werden diese Maßnahmen in der Kommunikation als primäre Präventionsmittel gegen den HI-Virus durch die Viruslastmethode ersetzt, so besteht die Gefahr einer weiteren Infektionssteigerung im Bereich anderer STIs.

    Die weltweite und allen zugängliche Eradikation des HI-Virus sollte weiterhin oberste Priorität haben. HIV-Therapien sollten weiterhin bei bereits Infizierten frühzeitig angeboten und durchgeführt werden. Das steht außer Frage. Aber für die breite Öffentlichkeit ist der Gebrauch des Kondoms als eingängige, leicht verständliche Präventionsmethode unverzichtbar.

    Daneben gilt es immer wieder zu betonen, dass eine HIV-Therapie eine persönliche Entscheidung ist, die in erster Linie der eigenen Gesunderhaltung dient. Der Gebrauch eines Kondoms als „ultimative“ Safer-Sex-Praktik stellt eine aktive und eigenverantwortliche Sicherheitsmaßnahme für alle Sexualpartnerinnen und Sexualpartner dar.

    Dr. Heinrich Rasokat | Unuklinik Köln

  • Silke Klumb hält den Kondomgebrauch und andere Safer-Sex-Methoden nach wie vor für einen wichtigen Teil der Präventionsbotschaften. Diese sollte auch weiterhin bestehen bleiben, jedoch in Ergänzung mit der Viruslastmethode. Die Nachricht, dass HIV-Positive nicht mehr infektiös sind, wenn ihre Viruslast unter der Nachweisgrenze liegt und sie ihre antiretrovirale Therapie regelmäßig einnehmen, ist laut Silke Klumb eine für HIV-positive Menschen ausgesprochen wichtige und befreiende Botschaft. Denn mit dieser Kenntnis eröffnen sich Handlungsmöglichkeiten, man kann wählen. Möchte man das Wissen um die eigene Infektion bereits beim ersten Kontakt preisgeben? Möchte man nicht vielleicht doch lieber ohne Kondom verkehren? Die Beantwortung dieser Fragen obliegt mit der Viruslastmethode als anerkannte Präventionsmaßnahme den Infizierten selbst und nicht mehr der Gesellschaft.

    Solange Menschen mit HIV nicht diskriminierungsfrei bei uns leben können, solange werden sich die Menschen auch fragen, ob sie nicht lieber in Unkenntnis ihr Leben in gewohnter Weise verbringen möchten. Was das für die Früherkennung einer möglichen HIV-Infektion bedeutet muss nicht weiter ausgeführt werden.

    Sowohl die Kommunikation beider Präventionsmaßnahmen, als auch die Früherkennung, Diagnose und Behandlung sexuell übertragbarer Krankheiten bieten gemeinsam ein wirkungsvolles Paket gegen die HIV-Übertragung.

    Dr. Rasokat hält dagegen, dass Angst ein wichtiger Handlungsmotor ist. Die STIs nehmen massiv zu. Er führt neben vielen anderen Krankheiten als Beispiel die Syphillis an, deren Verbreitung bei Männern in Deutschland zusammen mit der Aidspanik um die Jahrtausendwende erst abnahm, heute aber wieder auf dem Vormarsch ist. Gegen STIs ist der Kondomgebrauch ein probates, günstiges und in vielen Fällen wirksames Mittel, die Viruslastmethode dagegen nicht. Dr. Rasokat warnt vor den Folgen der Verbreitung nicht beherrschbarer STIs gerade für die schwule Community. Denn diese ist durch STIs besonders gefährdet.

    Hinzu kommt, dass die Viruslastmethode eine passive Sicherheit vermittelt, die Kondomnutzung  dagegen aktiv und eigenverantwortlich ist. Dr. Rasokat hält es für gefährlich, sich allein auf eine gute Adhärenz des Anderen zu verlassen. Eine Einnahme einer ART, allein um eine Weiterverbreitung zu verhindern, hält er insofern als Präventionsbotschaft für nicht vermittelbar. 

    Seine Basisbotschaft lautet daher nach wie vor: „Eine Präventionsbotschaft, die alle erreichen soll, muss das Kondom im Zentrum haben!“

    Im Publikum wurde die Weiterverbreitung von Wissen in der Gesellschaft angemahnt, womit eine Diskriminierung der Infizierten verhindert werden könnte. Dr. Rasokat führt die gerade in den Anfängen der Therapie noch zahlreich vorhandenen Nebenwirkungen und Unsicherheiten an, die Ärztinnen und Ärzte sowie Aidshilfen dazu bewogen, mit der Nutzung und Kommunikation der ART noch zurückhaltend zu sein.

    Eine weitere Meldung betraf die moralische Zuordnung. Safer-Sex-Regeln würden in erster Linie nur bestimmten Personengruppen nahegelegt. Man einigte sich in der Diskussion darauf, dass alle Menschen Eigenverantwortung tragen müssten und dass auch komplexe Botschaften durchaus zumutbar seien.

    Das Thema Stigmatisierung und Diskriminierung wurde noch mehrfach erwähnt und man war sich einig, dass in der Gesellschaft generell ein größeres Bewusstsein für STIs und für sexuelle Gesundheit geschaffen werden müsse.

    Ebenfalls einig war man sich darin, dass die Teilnahme an einer Therapie eine freiwillige Handlung bleiben müsse. ART als reine Public-Health-Präventionsstrategie einzusetzen führe zu hohem gesellschaftlichem und medizinischem Druck, was wiederum die Früherkennung gefährde. 

  • Eine kompetente, nach innen und außen geführte intensive Kommunikation ist zwingend. Diese sollte bereits in Schulen beginnen. Es muss ein größeres Bewusstsein für sexuell übertragbare Krankheiten in der Gesellschaft verankert werden. Ziel ist die Vorbeugung sowohl vor Infektionen als auch von Stigmatisierung und Diskriminierung betroffener Personengruppen.

    Es geht bei der Kommunikation nicht darum, das Kondom als Präventionsmaßnahme durch die Viruslastmethode zu ersetzen. Die Präventionsbotschaften dürfen und müssen komplexer werden, denn es gibt nicht nur das Kondom zur Prävention von HIV und anderen STIs. In der Präventionsarbeit nehmen Themen wie Früherkennung, Diagnose, Behandlung, Aufklärung und Beratung eine ebenso wichtige Rolle ein wie die Prävention durch Safer Sex oder die ART.