Therapie der chronischen Hepatitis C bei HIV-Infizierten: Lohnt es sich, auf die neuen Substanzen zu warten?

Die Koinfektionsrate von HIV und Hepatitis C beträgt in Europa im Schnitt gut 30 %, in Osteuropa sogar fast 70 %. 2011 sollen die ersten oral einnehmbaren HCV-Proteasehemmer zur Behandlung der chronischen Hepatitis C zugelassen werden. Damit wird es zu einer Änderung der bisherigen Therapiestandards der chronischen Hepatitis C auch bei HIV-Infizierten kommen. Insofern stellt sich die Frage, inwieweit 2010 überhaupt noch eine Hepatitis-C-Behandlung angefangen werden soll, da durch den Einsatz der neuen Substanzen möglicherweise eine größere Chance auf dauerhafte Ausheilung besteht.

Solange sie unbehandelt ist, kann eine HIV-Infektion die Progression der HCV-Infektion zur Zirrhose fördern. In Zeiten von ART ist diese wechselseitige Beeinflussung bei Koinfektionen jedoch differenzierter zu betrachten. Eine HCV-Infektion beeinflusst wiederum kaum die Progression der HIV-Erkrankung oder das Ansprechen auf die antiretrovirale Therapie.

In einer retrospektiven Analyse von 4 682 Patienten wurden signifikante Unterschiede bei der Fibroseprogression gezeigt. Bei HIV-/HCV-koinfizierten Patientinnen und Patienten schreitet die Fibrose schneller voran als bei HCV-monoinfizierten Patientinnen und Patienten. Ein schlechter Immunstatus ist somit entscheidend für eine schnelle Progression der Fibrose. Infektionen mit HCV Genotyp 1 sprechen zudem schlechter auf Interferon an als andere HCV Genotypen. Die Dauer der Therapie einer HCV-Infektion hängt vom Genotyp und der Viruslast ab. Eine Therapie der Hepatitis C wird besonders für Patientinnen und Patienten empfohlen, die mit hoher Wahrscheinlichkeit ein anhaltendes virologisches Ansprechen erreichen, d. h. Patientinnen und Patienten mit Genotyp 2 oder 3 sowie Patientinnen und Patienten, die mit Genotyp 1 infiziert sind und eine niedrige Viruslast haben.

Unklar ist, wie sich heutige Therapiemöglichkeiten und zukünftige Therapieoptionen gegeneinander abgrenzen lassen und wie sinnvoll die Behandlung einer chronischen Hepatitis C für die unterschiedlichen Patientengruppen ist. Gibt es etwa Einschränkungen für Drogen gebrauchende Menschen gegenüber anderen Hepatitis-C-koinfizierten HIV-Patienten, die die Entscheidung für oder gegen eine Hepatitis C unter oder ohne Proteaseinhibitoren beeinflussen? Und welche Rolle spielen dann der aktuelle Drogengebrauch, Substitutionsbehandlungen und diverse Begleiterkrankungen?

Die Frage lautet: Welche Interaktionen zwischen den verschiedenen Substanzen sind bekannt und lohnt es sich, auf neue Substanzen zu warten?

  • Die Referenten der Kontroverse waren Dr. Patrick Ingiliz| Facharzt für Innere Medizin | Berlinund Prof. Dr. Jürgen Rockstroh | DAIG e. V. Die Moderation lag bei Dr. Christoph Mayr | Arzt für Innere Medizin | Berli.

  • Der natürliche Verlauf der chronischen Hepatitis-C-Infektion ist sehr variabel. Die aus Langzeitbeobachtungen gewonnen Daten erlauben jedoch die Schlussfolgerung, dass es Patienten gibt, bei denen eine Leberfibrosierung (= Vernarbung) erst nach vielen Jahrzehnten auftritt. Diese Menschen werden vermutlich niemals an den Folgen ihrer Lebererkrankung zu leiden haben. Mehrere Faktoren, die mit einer rascheren Fibroseprogressionsrate einhergehen, konnten in den letzten Jahren identifiziert werden. Hierzu gehört auch der schwere chronische Immundefekt.

    Die exakte Fibroseprogression bei einer HIV-/HCV-Koinfektion ist nicht bekannt. Vermutlich ist auch diese sehr variabel, doch verlässliche Daten fehlen. Die aktuellen Therapieoptionen führen nur in geringem Maße zum Therapieerfolg und sind mit heftigen Nebenwirkungen verbunden. Neue Therapieoptionen werden die Behandlung der HCV-Infektion revolutionieren, sowohl was Therapiedauer als auch den Therapieerfolg betrifft. Obwohl zuverlässige Daten noch fehlen, gibt es gute Gründe zu glauben, dass sich durch neue Substanzen der Therapieerfolg auch bei HIV-/HCV-Koinfektionen verbessern wird.

    Die Therapieentscheidung bei der HIV-/HCV-Koinfektion sollte individualisiert werden. Entscheidend ist hierfür eine zuverlässige Bestimmung des Krankheitsstadiums, also des Fibrosegrades. Diejenigen Patientinnen und Patienten, die Gefahr laufen, eine fortgeschrittene Lebererkrankung zu entwickeln, sollten zügig behandelt werden. Für andere bleibt die Chance auf eine kürzere und effektivere Heilungsoption.

    Dr. Patrick Ingiliz| Facharzt für Innere Medizin | Berlin

  • Bisher sind die neuen Substanzen zur Therapie der chronischen Hepatitis C für HCV-/HIV-Koinfizierte nicht ausreichend erprobt und nicht für alle HCV-Genotypen gleichermaßen geeignet. Resistenzentwicklungen beim Einsatz von HCV-Proteaseinhibitoren können nicht ausgeschlossen werden. Medikamenteninteraktionen und sich überschneidende Toxizitäten können noch nicht sicher eingeschätzt werden. Abhängig vom HCV-Genotyp sind bereits die jetzigen Behandlungsmöglichkeiten selbst bei HIV-Infizierten durchaus erfolgreich und die Risiken bekannt, weshalb die Therapie für diese Patienten nicht hinausgezögert werden sollte. 

    Untersuchungen zu Todesursachen bei HIV-Patientinnen und -Patienten im Zeitalter der Behandelbarkeit der HIV-Infektion zeigen auf, dass chronische Lebererkrankungen die Liste nicht aidsdefinierender Todesursachen anführen. Dies beruht im Wesentlichen auf die deutlich raschere Leberfibrose-Progression bis hin zur Leberzirrose bei HIV-Patientinnen und -Patienten mit einer chronischen HCV, die insbesondere bei fortgeschrittenem Helferzellverlust deutlich beschleunigt ist. Bei HIV-Patientinnen und -Patienten mit chronischer Hepatitis C findet sich sechs Mal so häufig eine Leberzirrhose als Ausdruck der weit fortgeschrittenen Lebererkrankung im Vergleich zu HCV-monoinfizierten Patientinnen und Patienten.

    Hierin begründet sich die unbedingte Notwendigkeit der Behandlung der Hepatitis C-Koinfektion. Hinzu kommt, dass HIV-Therapien unverändert bei Patientinnen und Patienten mit chronischer Hepatitis mit deutlich mehr Leberwertanstiegen verbunden sind. Durch eine erfolgreiche Behandlung der zugrunde liegenden Hepatitis kann aber auch die Verträglichkeit der Medikamente für die Leber verbessert werden. Erwähnenswert ist auch der Ausbruch der akuten Hepatitis C, insbesondere bei Männern, die Sex mit Männern haben, wo eine vergleichsweise hohe Ausheilungschance von über 80 % erreicht werden kann, wenn innerhalb der ersten sechs Monate nach Diagnosestellung der akuten Hepatitis C eine HCV-spezifische Behandlung eingeleitet wird.

    Schließlich ist die Einführung von neuen Hepatitis-C-Medikamenten, aber auch die verbesserte Anwendung der herkömmlichen Standardtherapie aus pegyliertem Interferon und Ribavirin mit Ausheilungsraten von über 50 % zu erwähnen. In Verbindung mit den neuen, direkt wirkenden antiviralen Medikamenten kann von Heilungsraten von über 70 % ausgegangen werden. Dies ist ein starkes Argument für eine entsprechende HCV-Behandlung. Selbst bei den Patientinnen und Patienten, die noch keine manifeste Lebererkrankung zum jetzigen Zeitpunkt aufweisen, ist davon auszugehen, dass diese bei normaler Lebenserwartung in spätestens drei bis vier Dekaden im Vordergrund stehen wird. Dies umfasst nicht nur die Zirrhose, sondern auch das bei Patientinnen und Patienten mit chronischer Hepatitis vermehrte Risiko für die Ausbildung eines hepatozellulären Karzinoms.

    Zusammengefasst bleibt die Behandlung der chronischen Hepatitis C eine unbedingte klinische Notwendigkeit, um dem raschen Progress der Lebererkrankung gerecht zu werden und auch die Optimierung der Hepatitis-C-Therapie im Jahr 2010 und danach zu reflektieren.

    Prof. Dr. Jürgen Rockstroh | DAIG e. V.

  • Der Moderator beginnt die Diskussionsrunde, indem er die Referenten auf mehr Kontroverse einschwört. Die Thesen seien eher ein Scheingefecht gewesen und die Kontrahenten hätten sich um die Frage „herumgemogelt“, ob man nun als HIV-/HVC-Koinfizierter doch noch ein halbes oder ganzes Jahr warten solle, oder nicht.

    Dr. Jürgen Rockstroh erklärt, dass es viele Patientinnen und Patienten gäbe, bei denen man auf keinen Fall mit einer Behandlung warten solle. Man werde nicht tatenlos zusehen und eine (spätere) Verschlechterung der Leber durch ein Nicht-Behandeln der Infektion riskieren. Solange es keine neuen Medikamente und keine erprobten Substanzen gebe, müsse man eben auf die Vorhandenen zurückgreifen. Es gelte zu behandeln, mit dem, was vorhanden ist. Dr. Patrick Ingiliz ergänzt, dass natürlich ein Patient mit fortgeschrittener Fibrose sofort zu behandeln sei. Man solle aber Krankheiten behandeln, nicht das Virus. 

    Aus dem Publikum kommt die Anmerkung, dass Studien in Israel gezeigt hätten, dass die Zugabe von Vitamin D die Heilungsrate verdoppelt könne. Bräuchte es also wirklich neue Medikamente, oder gäbe es nicht auch andere Therapieoptionen?

    Ingiliz antwortet, dass Vitamin D in Deutschland dazu verabreicht werde, um die Effektivität der herkömmlichen HCV-Therapie zu optimieren. Es sei jedoch erforderlich, diese Wirkungszusammenhänge noch genauer beobachten. Rockstroh erklärt, dass zudem die Erfolge mit Vitamin D südlich der Alpen besser seien als im Norden. Das Problem bestünde zudem in den kleinen Fallzahlen, die nicht sehr aussagekräftig seien. Es gäbe auch andere Substanzen, die helfen könnten, deren Wirkungen aber ebenso wenig erforscht sind. Vitamin D könne eine Behandlung zwar unter Umständen optimieren, die Dosierung spiele aber eine große Rolle. Diese wäre kaum kontrollierbar, denn unterschiedliche Reaktionen auf Umwelteinflüsse wie Jahreszeit, Sonneneinstrahlung etc. kämen erschwerend dazu. Deshalb gäbe es einen großen Streit über die Rahmenbedingungen der Verabreichung von Vitamin D in der Forschung. Sicher seien viele positive Effekte, jedoch wären keine davon konkret nachvollziehbar.

    Eine weitere Publikumsfrage dreht sich um die möglichen Wechselwirkungen der neuen Proteasehemmer mit HIV-Medikamenten. Ingiliz sagt, dass es hierzu einige Studien gäbe, die sehr unterschiedlich ausfallen würden. Die neuen Substanzen könnten die HIV-Medikamente boostern, es wären aber auch Resistenzen durch bestimmte Kombinationen möglich. Rockstroh meint, man müsse hier mit Aussagen extrem vorsichtig sein, da es sich um sehr unterschiedliche Medikamente und Substanzen handle, die aufeinander treffen. Zudem sei die Dosierung ein wichtiger Faktor bezüglich der Wechselwirkungen. „Man solle die Packungsbeilagen lieber genau lesen.“

    Aus dem Publikum kommt die Frage, wie man zudem Patientinnen und Patienten jetzt noch zur Behandlung bewegen könne. Sie täten sich schwer mit der Entscheidung für einen sofortigen Therapiebeginn, weil sie um die neuen Substanzen wüssten, die kommen sollen. Zum Teil würden sie aber schon sehr lange warten. Rockstroh empfiehlt, dass man auf die Leber schauen solle. Ist dort nichts zu finden, könne der Patient auch warten. Bei einer F2-Fibrose käme man bereits in eine Schieflage, wenn es um andere Faktoren wie Alter, Viruslast etc. ungünstig stünde. Hier sollte man besser gleich mit der Behandlung beginnen, bevor zwei Jahre später ein Stadium von F4 erreicht ist. Zudem spiele die persönliche Motivation des Patienten bei der Entscheidung eine nicht zu unterschätzende Rolle.

  • Die Fibroseprogressionsrate bei immunkontrollierten HIV-Patientinnen und -Patienten ist kaum bekannt. Für Behandelnde sollte deshalb ein Fokus auf der Fibrosegradbestimmung liegen. Desweiteren sollten bei schlechten Therapieoptionen jedoch nur die behandelt werden, die es dringend brauchen. Die Patientin bzw. der Patient soll selbst entscheiden, ob er jetzt behandelt werden will, oder lieber warten möchte. Das sollte er aber abhängig von seinem Stadium machen. Ärztinnen und Ärzte müssen deshalb die Leber und ihren Zustand thematisieren und benennen, wie das Risiko der Patientin bzw. des Patienten aussieht.

    Es gibt viele gute Gründe, bald mit einer Therapie zu beginnen, aber auch nicht wenige, zu warten. Drogengebrauch, Substitutionsbehandlungen und Begleiterkrankungen spielen zum Beispiel für alle Patientinnen und Patienten mit chronischer Hepatitis C eine wichtige Rolle. Bessere Ansprechraten und eine kürzere Behandlungsdauer der chronischen Hepatitis C sowie längere Überlebenszeiten gegenüber den jetzigen Therapiemöglichkeiten werden auch für HCV-/HIV-Koinfizierte erwartet, sodass erst bei Verfügbarkeit der neuen Substanzen mit der Hepatitis-C-Therapie begonnen werden sollte.

    Alles in allem braucht es mehr Daten im HIV-Bereich und über die betroffenen Patientinnen und Patienten. Die Erfolgsrate der HCV-Behandlung ließe sich deutlich steigern, wenn die Zulassung der Substanzen unter Berücksichtigung einer HIV-Koinfektion bewertet würde. Dies macht es zwar nicht einfacher, aber sicherlich effizienter.